PROGNOSEGUTACHTEN: METHODIK
Die Befunderhebung erfolgt anhand mehrerer Methoden. Grundlegend ist zunächst eine Aktenanalyse. Ausgehend von dieser Basis wird mindestens ein ausführliches psychologisches Explorationsgespräch mit dem jeweils zu begutachtenden Probanden durchgeführt. Ergänzend hierzu können persönlichkeitsorientierte psychologische Testverfahren zur Selbstbearbeitung durch den Probanden vorgegeben werden.
Darüber hinaus werden statistisch-nomothetisch orientierte Verfahren zur Rückfallprognose bei Gewalt- und Sexualstraftätern durchgeführt. Bei Einverständnis des Probanden besteht weiterhin die Möglichkeit zu Befragungen von Dritten wie z.B. Therapeuten.
Im schriftlichen Gutachten erfolgt eine umfassende, transparente und möglichst in sich nachvollziehbare Darstellung aller erlangten Informationen und der gutachterlichen Bewertungen entsprechend der von Boettcher et al. (2006) geforderten Mindestanforderungen für Prognosegutachten.
Aktenanalyse
Die Aktenanalyse erfolgt auf Basis der zur Erstellung des Prognosegutachtens überlassenen Akten der Strafvollstreckungskammer und der Strafvollzugseinrichtungen und ggf. der Ermittlungsakten. Die Aktenanalyse dient u.a. zur Vorbereitung eines individuell geplanten Explorationsgesprächs mit dem Probanden und liefert erste Hinweise hinsichtlich der Biographie und Delinquenzentwicklung des Gefangenen sowie des Tatverlaufs. Darüber hinaus kann der bisherige Haftverlauf, ggf. einschließlich therapeutischer Behandlungen, rekonstruiert werden. Evtl. ergeben sich erste Informationen über den sozialen Empfangsraum.
Explorationsgespräch
Im Explorationsgespräch kann der Proband aus seiner Erlebnisperspektive seine biographische und delinquenzbezogene Entwicklung sowie die Auslösebedingungen für die Straftaten schildern. Die Exploration dient weiterhin der Erfassung der aktuellen Bewertung der Straftaten und des Haftverlaufs durch den Probanden sowie seiner individuellen Wünsche und Bedürfnisse in Bezug auf die zukünftige Lebensgestaltung. Anhand der Angaben des Probanden können z.B. Therapieeffekte geprüft werden.
Psychologische Tests
In der Regel handelt es sich hierbei um standardisierte psychologische Testverfahren aus dem Bereich der differentiellen und klinischen Psychologie. Für diese Verfahren liegen teilweise auch Normen aus der Population der Strafgefangenen vorliegen (z.B. Persönlichkeitsfragebogen für Inhaftierte PFI, Seitz & Rautenberg, 2010; oder „Konfliktverhalten situativ“ KV-S von Klemm, 2001).
Statistisch-nomothetische Verfahren
Bei statistisch-nomothetischen Verfahren zur Rückfälligkeitsprognose handelt es sich um systematische Zusammenstellungen personen- und tatbezogener Merkmale, für die sich in wissenschaftlichen Untersuchungen höhere korrelative Zusammenhänge mit Rückfalldelinquenz ergeben haben. Vorwiegend stammen diese aus dem angloamerikanischen Raum (z.B. PCL-R, Hare, 2003; PCL:YV, Sevecke & Krischer, 2014; HCR-20, Müller-Isberner, Jöckel & Gonzalez-Cabeza, 1998; SVR-20; Müller-Isberner, Gonzalez-Cabeza & Eucker, 2000; VRAG, Rossegger, Urbaniok, Danielsson & Endrass, 2009; SORAG, Rossegger, Gerth, Urbaniok, Laubacher & Endras, 2010; Static 99, Rettenberger & Eher, 2006, FOTRES, Urbaniok, 2004). Inzwischen liegen mit dem Inventar zur Einschätzung des Rückfallrisikos und des Betreuungs- und Behandlungsbedarfs von Straftätern von Dahle, Harwardt und Schneider-Njepel (LSI-R, 2012) und dem Inventar zur Bestimmung des Rückfallrisiko bei Sexualstraftätern von Rehder (RRS, 2004) inzwischen auch zwei aktuarische Verfahren zur Bestimmung des Rückfallrisikos von Straftätergruppen vor, die an Strafgefangenen in deutschen Hafteinrichtungen evaluiert und normiert wurden.