FAMILIENRECHTSGUTACHTEN: GEGENSTAND

Die Begutachtung zu familienrechtlichen Fragestellungen erfolgt nach den Richtlinien der fachübergreifenden Arbeitsgruppe „Familienrechtliche Gutachten“ (s. „Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht“ www.bpd-rechtspsychologie.de). Sind einvernehmliche Lösungen zum Wohl des Kindes möglich, werden sie gefördert. Bei Auftrag des Gerichts, auf Einvernehmen hinzuwirken, werden nach Abschluss der Diagnostik für die Eltern zusätzlich mediationsorientiert gemeinsame Gespräche angeboten.

Zur Bestimmung von Bindungen, Neigungen und des Entwicklungsstandes von Kindern sowie der Erziehungskompetenz von Kindeseltern werden neben psychologischen Explorationsgesprächen wissenschaftlich fundierte psychologische Testverfahren herangezogen. Teilweise wurden von uns selbst im Rahmen unserer früheren wissenschaftlichen Tätigkeit solche Testverfahren für die familienrechtliche Diagnostik „maßgeschneidert“ konstruiert und wissenschaftlich überprüft (s. Veröffentlichungen).

Die schriftliche Gutachtenerstellung erfolgt nach dem Grundsatz der Transparenz des gutachterlichen Vorgehens. Gutachterliche Empfehlungen zur Regelung der elterlichen Sorge, des Umgangs oder des Aufenthalts von Kindern erfolgen praxisnah und nachvollziehbar durch direkten Bezug auf die erhobenen Befunde. Im Rahmen der familienrechtlichen Begutachtungen können auch Beurteilungen der Glaubhaftigkeit von Aussagen durchgeführt werden (z. B. können Aussagen über Misshandlungen oder sexuellen Missbrauch hinsichtlich ihrer Glaubhaftigkeit geprüft werden).

FAMILIENRECHTLICHE FRAGESTELLUNGEN

Sorge- bzw. Aufenthaltsregelung nach elterlicher Trennung und Scheidung

Bei Frage­stellungen zur Regelung der elterlichen Sorge bzw. Teilbereichen der elterlichen Sorge, wie z.B. dem Aufenthaltsbestimmungsrecht, ist zu prüfen, welche Regelung dem Kindeswohl am besten entspricht. Der Begriff des Kindeswohls ist nicht an normative Kriterien gebunden (z.B. Hommers, 2004; Dettenborn, 2007). Das Kindeswohl basiert vielmehr auf einer Vielzahl zu gewichtender inter- und intrapersonaler Faktoren, die in Familien vorliegen (z.B. Betreuungs- und Versorgungssituation, Förderkompetenz, Bindung, etc.). Dabei sind elternbezogene und kindbezogene Faktoren (Kriterien) zu berücksichtigen.

Zu elternbezogenen Sorgerechtskriterien zählen die Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern, deren Erziehungs­fähigkeit und ihre Bindungstoleranz. Fragestellungen zur Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft sind, ob Entscheidungen im Rahmen der Elterlichen Sorge von beiden Eltern im Sinne des Kindeswohls getroffen werden können, ob das Kind Streitgegenstand der Eltern ist, oder ob bestimmte Faktoren wie z.B. Gewalter­fahrungen oder eine psychische Störung (mindestens) eines Elternteils eine Kooperation zwischen den Eltern erschweren (s. u.a. Dettenborn & Walter, 2015; Heiß & Castellanos, 2013). Fragestellungen zur Erziehungsfähigkeit sind, inwieweit die Eltern in der Lage sind, Grundversorgung, Betreuung, Gesundheitsfürsorge, Erziehung und Förderung des Kindes zu gewährleisten, und ob Faktoren vorliegen, die die Fähigkeit der Eltern dazu einschränken. Zu solchen Faktoren können z.B. psychische Störungen eines Elternteils, Alkohol- oder Drogenmiss­brauch, somatische Erkrankungen oder bestimmte Erziehungsein­stellungen oder –ziele zählen. Weiterhin ist zu prüfen, ob durch die Kindseltern ein hinreichender Schutz der betroffenen Kinder vor körperlicher und seelischer Gewalt sowie Missbrauch sowie ein Schutz vor einer ggf. bestehenden hoch eskalierenden elterlichen Konfliktdynamik gewährleistet ist. Fragestellungen zur Bindungstoleranz sind, inwieweit die getrennt lebenden Eltern in der Lage sind, die Beziehungen des Kindes zum jeweils anderen Elternteil bzw. bisherigen wichtigen Bezugspersonen des Kindes aufrechtzuerhalten und zu fördern.

Zu kindbezogenen Sorgerechtskriterien zählen die Bindungen der Kinder zu den Eltern, Geschwister­be­ziehungen, der Wille des Kindes und das Kontinui­tätsprinzip (Dettenborn & Walter, 2015), sowie die sog. „Nei­gungen“ der betroffenen Kinder, also „Erziehungs­anforderungen“, die sich aus dem Entwick­lungsstand, den Interessen und möglichen Verhaltensauf­fälligkeiten bei den betroffenen Kindern ergeben.

Bei Empfehlungen zur Regelung der elterlichen Sorge bzw. Teilbereichen der elterlichen Sorge müssen elternbezogene und kindbezogene Sorgerechtskriterien sorgsam gegeneinander abgewogen werden, wobei zu beachten ist, dass es keine allgemein anwendbare Hierarchie der Kriterien gibt (Dettenborn & Walter, 2015), sondern diese je nach Einzelfall unterschiedlich gewichtet werden können.

Mitübertragung der elterlichen Sorge auf einen nicht-verheirateten Elternteil

Voraussetzung für die Mitübertragung der elterlichen Sorge auf einen nicht-verheirateten Elternteil ist, dass die Übertragung dem Kindeswohl nicht widerspricht (Heiß & Castellanos, 2013), was ggf. durch psychologische Begutachtung überprüft werden kann. Dabei sind ähnliche Kriterien wie bei der Frage der Aufhebung der Gemeinsamen Sorge zu berücksichtigen (z.B. Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern und Erziehungseignung). Es muss geprüft werden, ob die Einführung der Gemeinsamen elterlichen Sorge sich nachteilig auf das Kindeswohl auswirken würde.

Umgangsregelung

Bei Fragestellungen zur Umgangsregelung ist zu prüfen, welche Umgangsgestaltung dem Kindeswohl am ehesten entspricht. Dabei sind z.B. nach Dettenborn & Walter (2015) auf Seiten der Kinder die emotionalen Beziehungen der Kinder, sowie je nach Alter ihr Willen und mögliche Ein­schränkungen ihrer Belastbarkeit durch Entwicklungs­verzögerungen oder Ver­haltensauf­fälligkeiten zu berücksichtigen.

Auf der Seite der Eltern sind deren Erziehungs­eignung, Kooperationsfähigkeit sowie ihre Bindungstoleranz zu berücksichtigen. Dazu zählen u.a. die Fähigkeit und Bereitschaft des betreuenden Elternteils, Umgang zu fördern, aber auch die Fähigkeit und Bereitschaft der umgangssuchenden Person, über die Folgen eigenen Verhaltens für das Kind zu reflektieren, Verantwortung zu über­nehmen und trotzdem die grundsätzliche Zuständigkeit des anderen Elternteils für die Erziehung des Kindes zu akzeptieren und das Kind durch ggf. bestehende elterliche Konflikte nicht zu belasten (Dettenborn & Walter, 2015; Salzgeber, 2011; Heiß & Castellanos, 2013).

Weiterhin sind praktische Gesichtspunkte (wie z.B. die Entfernung zwischen den Wohnorten der Eltern) zu berück­sichtigen. Sofern das Gericht ein Hinwirken auf Einvernehmen wünscht, kann lösungs­orientiert gearbeitet werden.

Lösungsorientierte Begutachtung

Im Rahmen einer familienrechtlichen Begutachtung ist, falls seitens des Gerichts gewünscht, lösungsorientiertes Arbeiten möglich. Dabei erfolgt zunächst eine umfassende Diagnostik zur Beantwortung der gerichtlichen (bzw. psychologischen) Fragestellungen. Deren Befunde werden als Basis für gemeinsame Elterngespräche und Lösungsvorschläge herangezogen (s. hierzu Bergau, 2014).

In Hinsicht auf eine Umgangsregelung ist neben gemeinsamen Gesprächen mit den Eltern auch ein Probehandeln möglich, z.B. eine Umgangsanbahnung in Anwesenheit der Sachver­ständigen oder das Ausprobieren von Umgangs­vereinbarungen.

Gutachten können auch (oder zunächst) im Rahmen einer mündlichen Verhandlung erstattet werden, so dass bei Vereinbarungen zwischen den Eltern oder vor Gericht auf eine schriftliche Abfassung von Gutachten ggf. verzichtet werden kann. Beim lösungsorientierten Arbeiten soll die Eigen­verantwortung der Kindseltern unter Einbe­ziehung familien­interner, aber auch externer Ressourcen und Hilfen gefördert und unterstützt werden (vgl. auch sog. „Cochemer Modell“, Rudolph, 2007).

Kindswohlgefährdung / Erziehungsfähigkeit

Bei Fragestellungen zur Kindeswohlgefährdung bzw. Erziehungsfähigkeit der Kindseltern ist zu prüfen, ob durch die Lebensumstände des Kindes bei den Eltern Schädigungen bei den Kindern bereits hervorgerufen wurden oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten wären (Dettenborn & Walter, 2015).

Elternbezogene Prüfkriterien betreffen die Gewährleistung der Grundversorgung, Betreuung, Gesundheitsfürsorge, Erziehung und Förderung des Kindes. Faktoren, die die Erziehungsfähigkeit der Eltern einschränken können, sind beispielsweise psychische Störungen eines Elternteils, Alkohol- oder Drogenmiss­brauch, somatische Erkrankungen, bestimmte Erziehungseinstellungen und -ziele, Instrumentalisierung des Kindes für Erwachseneninteressen beispielsweise im Rahmen von Sorge- und Umgangskonflikten, Anwesenheit des Kindes bei starken verbalen oder handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Kindseltern oder anderen Erwachsenen, oder körperliche Misshandlung und sexueller Missbrauch des Kindes.

Auf Seiten des Kindes sind dessen Alter, Entwicklungsstand, Bindungen, Fähigkeiten, Interessen und ggf. Verhaltensauffälligkeiten zu berücksichtigen.

Weiterhin ist zu prüfen, inwieweit Eltern bereit und in der Lage sind, eine bestehende oder zu erwartende Kindeswohlgefährdung durch Hilfen zur Erziehung abzuwenden.

Rückführung von Kindern zur Herkunftsfamilie

Bei der Fragestellung einer möglichen Rückführung eines Kindes in seine Familie zu den Kindseltern ist zunächst zu prüfen, ob bei den Kindseltern die Faktoren, die zu einer Fremdunterbringung des Kindes geführt haben, noch bestehen oder nicht. Sofern das Kind bereits längere Zeit in einer Pflegefamilie lebt, ist darüber hinaus zu prüfen, inwieweit die Herausnahme eines Kindes aus der Pflegefamilie mit einer Gefährdung verbunden wäre (Balloff, 2004), weil das Kind beispielsweise bereits engere Bindungen an die Pflegefamilie entwickelt hat.