FAMILIENRECHTSGUTACHTEN: METHODIK

Ausgangspunkt

Ausgangspunkt für das gutachterliche Vorgehen sind familien- und entwick­lungs­psycholo­gische Fragestellungen, die anhand des Sachstands der Ver­fahrens­akte und der Frage­stellung des Familien­­­­gerichts generiert werden. Befunde zu den psychologischen Fragestellungen dienen der Beantwortung der gerichtlichen Fragestellung. Die psychologischen Fragestellungen stellen somit den Leitfaden für den Verlauf des Begut­acht­ungsprozesses dar (vgl. Dettenborn & Walter, 2015; Volpert & Steller, 2008).

Befunderhebung

Die Befund­erhebung basiert in der Regel auf folgenden Methoden (A) Psycho­diagnostische Explorationen der Kindseltern und Kinder, (B) Verhaltensbeobachtungen bzw. Beobachtungen der Eltern-Kind-Interaktion, (C) Psychologische Testverfahren, (D) falls notwendig zusätzliche Befragung weiteren Personen aus dem sozialen Umfeld der Familie und Fachpersonen mit Bezug zu den betreffenden Kindern und den Kindseltern. Die Befunderhebung kann ggf. auch im Rahmen von Hausbesuchen erfolgen.

(A) Exploration

Explorationsgespräche mit den Kindseltern und Kindern erfolgen neutral bzw. all­parteilich mittels fallorientierten, halbstrukturierten Interviews. Halbstrukturierte Interviews erlauben es im Gegensatz zu vollstandardisierten Verfahren, nicht nur auf allgemein für familienrechtlich relevante Themen (z.B. Erziehungsverhalten) einzugehen, sondern auch auf Themen, die sich aus der Aktenlage ergeben und für den Einzelfall spezifisch sind (z.B. spezifischer Konfliktverlauf auf der Partnerebene).

(B) Beobachtungen

Nach der Vorgabe von Hommers (2003a,b) finden Verhaltens- und Interaktionsbeobachtungen im Rahmen familienrechtlicher Begutachtung aus Sachzwang in der Regel unstandardisiert und, wenn möglich, im natürlichen Umfeld von Kindern statt, da sich standardisierte Beobachtungssettings häufig nicht realisieren lassen (zur wissen­schaftlichen Metho­dik von Verhaltensbeobachtungen beispielsweise Schmidt-Atzert & Amelang, 2011; Jacob, 2014).

(C) Testverfahren

Psychologische Testverfahren werden – falls erforderlich – auf der Seite des Kindes z.B. zur Bindungsdiagnostik und zur Beurteilung des elterlichen Erziehungsverhaltens eingesetzt, auf der Seite der Eltern z.B. zur Beurteilung persönlicher Eigenschaften und intellektueller Fähigkeiten, die beispielsweise im Zusammenhang mit Kooperations- und Erziehungsfähigkeit der Eltern stehen könnten. Im Rahmen der vorliegenden Begutachtung werden nach der Vorgabe von Hommers (2003a,b) sogenannte maßge­schnei­derte, standardisierte und psycho­metrische Verfahren für die familien­rechtliche Diagnostik eingesetzt, deren Gütekriterien überprüft wurden. Diese ermöglichen im Sinne des Gleich­be­handlungs­grund­satzes von Heumann (2001) beiden Elternteilen die gleichen Chancen z.B. bei der Bewertung ihres Erziehungs­verhaltens und der Beurteilung der Qualität der kindlichen Bindung durch das betreffende Kind. Ein Merkmal derartiger Verfahren ist beispielsweise, dass die Items (Fragen), die sich auf die Kinds­mutter und den Kindsvater beziehen, jeweils identisch sind. Dadurch ist ein statistischer Vergleich nicht nur mit einer entsprechen­den Mütter- und Väterver­gleichs­­stich­probe, sondern auch ein direkter statisti­scher Vergleich zwischen beiden Eltern möglich.

(D) Befragung

Die ggf. notwendige Befragung weiterer Personen wie beispielsweise von Lehrkräften, Erzieherinnen, Therapeuten, Ärzten erfolgt in der Regel telefonisch. Voraus­setzung ist hierfür, dass diese Personengruppen durch die Kindseltern von ihrer Schweigepflicht gegenüber dem Sachver­ständigen entbunden wurden. Die Schweige­pflicht­ent­bindung erfolgt in der Regel schriftlich.

Befundbewertung

Bei der Befundbewertung werden mehrere Informationen bzw. Befunde aus unterschiedlichen Informationsquellen (A bis D) gewichtet miteinander integriert. Eine Befundbewertung erfolgt vor dem Hintergrund anerkannter psychologischer Theorien und Ergebnissen der psychologischen Forschung.