PROGNOSEGUTACHTEN: GEGENSTAND

Rechtspsychologische Prognosegutachten zur Rückfälligkeits- und Gefährlichkeits­prognose im Strafvollzug (nicht im Maßregelvollzug) beziehen sich auf die rechtlichen Frage­stellungen, ob eine Eignung eines Strafgefangen für Vollzugslockerungen vorliegt und/oder ob die Voraussetzungen für eine vorzeitige Entlassung zur Bewährung nach § 88 JGG oder § 57, 57a StGB vorliegen, sowie ggf. welche vorbereitenden Schritte hinsichtlich einer eventuell später folgenden Entlassung eines Strafgefangenen zur Bewährung einzuleiten wären. Darüber hinaus können Empfehlungen zu Vorkehrungen bei Vollzugslockerungen und zum Risikomanagement nach Entlassung auf Bewährung erfolgen. Die Begutachtung orientiert sich an den von Boetticher, Kröber, Müller-Isberner, Böhm & Müller-Metz (2006) beschriebenen Mindestanforderungen für Prognose­begutachtung.

 

Bei der rechtspsychologischen Begutachtung werden bei der Prognose orientiert am Prozessmodell von Dahle (2005) die biographische und delinquente Entwicklung des Gefangenen einschließlich des Tathergangs, die Entwicklung des Gefangenen nach der Inhaftierungstat, und der gegenwärtige Stand berücksichtigt. Schließlich erfolgt eine Einschätzung des Gesamtrisikos unter Einbeziehung des sozialen Empfangsraums und vor dem Hintergrund von Ergebnissen der psychologischen Forschung zur Rückfallwahrscheinlichkeit in Ab­hängigkeit von der Art der Straftaten und anderer Faktoren (z.B. Studie „Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen“, herausgegeben vom Bundes­justizministerium, Berlin, 2010 und 2013). Die abschließende Prognose beruht damit auf einer integrativen Bewertung (s. Dahle, Schneider & Ziethen, 2008; Dahle & Schneider-Njepel, 2014) von Ergebnissen ideographischer Einzelfall­analyse und Ergebnissen statistisch-nomothetisch orientierter Prognose­verfahren (im Überblick s. Rettenberger & Franqué, 2013) unter Beachtung des Gewichts des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts.

Biographie und Tathergangsanalyse

Ausgehend von der biographischen Entwicklung, der Delinquenzentwicklung und der Tathergangsanalyse wird eine Theorie über die individuelle personale und situationalen Bedingungenfaktoren der von dem Probanden begangenen Straftaten entwickelt. Dadurch wird herausgearbeitet, worin die in den bisherigen Taten zutage getretene Gefährlichkeit des Strafgefangenen besteht, und wie stabil und überdauernd diese Gefährlichkeit ist (Kröber, 2006). Hierunter fallen personenbezogen insbesondere spezifische Verhaltensmuster, Denkgewohnheiten, Handlungskompetenzen und -defizite, Bedürfnisse und mögliche psychische Störungen des Probanden. Tatbezogen erfolgt eine Analyse des Tathergangs hinsichtlich möglicher Tatauslösefaktoren und der Dynamik. Auf dieser Basis kann eine auf den Einzelfall bezogene Theorie zur Erklärung der Taten formuliert werden, in der die künftigen Risikofaktoren für weitere Straftaten erkennbar werden können.

Entwicklung seit der Inhaftierungstat

Ausgehend von der entwickelten Taterklärungstheorie wird eine Analyse der Ent­wicklung des Gefangenen seit der Inhaftierungstat in Hinblick auf dessen individuelle Risikofaktoren durchgeführt. Zu klären ist, was sich seit der Inhaftierungstat bei dem Probanden geändert hat und welche Veränderungspotentiale bei ihm noch bestehen. Es werden also z.B. Reifung, Haftverlauf und ggf. Therapieeffekte geprüft.

Aktueller Entwicklungsstand

Ausgehend von der entwickelten Taterklärungstheorie sowie der Veränderungen des Probanden seit der Inhaftierungstat wird der aktuelle Entwicklungsstand des Gefangenen in Bezug auf dessen individuelle Risikofaktoren festgestellt, wobei Fortschritte und noch vorhandene Defizite erfasst werden. Dies erlaubt eine Einschätzung, unter welchen Rahmenbedingungen bzw. Risikokonstellationen erneute Straftaten wahrscheinlich wären.

Sozialer Empfangsraum und abschließende Prognose

Es wird eine Einschätzung der künftigen Lebensperspektiven des Probanden vorgenommen. Hierzu zählen der soziale Empfangsraum wie z.B. berufliche Perspektiven oder familiäre Anbindung, sowie die individuellen Wünsche und Bedürfnisse des Probanden in Bezug auf seine zukünftige Lebensgestaltung. Unter Berücksichtigung der individuellen Risiko­konstellationen erfolgt bei der abschließenden Kriminalprognose eine Einschätzung, mit welcher Wahrscheinlichkeit zukünftig allgemein und einschlägig Straftaten zu erwarten sind.